China, China, na das war was, was?

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Allgemein

Heute ist es Zeit für ein Resümee. Auch wenn China viel zu groß ist, um es in nur eine Schublade zu stecken, erlaube ich mir, die letzten Wochen, die ich in diesem abwechslungsreichen, riesigen und bevölkerungsreichsten Land dieser Erde verbringen durfte, noch einmal genauer zu betrachten.

Es gibt ja so viele Dinge in China, die völlig neu für Fremde sind und die es dem Besucher deutlich machen, nicht zuhause, sondern weit, weit weg zu sein. Das kann deprimierend sein, weil man das Gewohnte vermisst, oder bereichernd, weil man offen für Neues ist. Es kann anstrengend, lehrreich oder einfach exotisch sein. Ich habe mir während der letzten Wochen angewöhnt, Dinge einfach so zu nehmen, wie sie sind. Lasst mich ein paar ‚Unterschiede‘ zum mir Bekannten beschreiben:

Das „Großfamilien-Syndrom“

Das „Großfamilien-Syndrom“, von dem ich euch bereits berichtet habe, zieht sich durch das ganze Land und durch alle Bevölkerungsschichten. Ein Beispiel: Zug fahren in China ist am ehesten mit Fliegen zu vergleichen. Zum Gleis kommt man erst kurz vor Abfahrt des Zuges durch eine Einlasskontrolle und nachdem man mehrere Sicherheitsschleusen durchschritten hat. Etwa eine Stunde, bevor der Durchgang zum Gleis geöffnet wird, gibt es bereits eine geordnete Schlange einen kompakter werdenden Haufen, der sich vor dem Einlass zum Gleis gebildet hat, zu groß ist die Sorge, man könne seinen Zug verpassen. So bald die Eingänge geöffnet werden, gibt es kein Halten mehr: Alle drängen nach vorne und RENNEN zum Zug, angefeuert von den ebenfalls gehetzt wirkenden Kontrolleurinnen. Zugverspätungen? – Fehlanzeige, eher noch fährt der Zug ein paar Minuten eher los. Ich persönlich habe das nicht mitbekommen, vielleicht ist es eines der Gerüchte, die sich so hartnäckig halten und die die Leute zu diesem Verhalten treiben. Nun, Schlange stehen schubsen mit Chinesen ist so ziemlich das herausforderndste, was man als Deutscher so tun kann in China. Wir Deutschen sind die geborenen In-der-Schlange-Steher. Chinesen kümmern sich nicht um die Schlange, sonst wären sie vermutlich nie an der Reihe, also wird vorgedrängelt, randaliert und so etwas wie „Privatsphäre“ existiert nicht: Ständig hängt einem jemand in den Kniekehlen, halb auf dem Fuß oder über dem Koffer. Böse Blicke sowie andere Versuche, sich Platz zu schaffen, sind nicht von dauerhaftem Erfolg. Ich persönlich bin jemand, der gerne vorne geht. (Selbst, wenn ich den Weg nicht weiß, laufe ich in einer Gruppe niemals als letzte, sondern am ehesten noch als erste, auch wenn das bedeutet, dass ich an jeder Kreuzung warten muss, bis ich wieder weiß, wohin es weiter geht.) Will sagen: Ich hasse es, wenn sich jemand vor mich drängelt. Die Erlebnisse in den Warteschlangen gehörten für mich also schon eher zu den größeren Herausforderungen…

Hab ich mir bei der dritten Tür gespart.

Essen

Essen im gesamten Land findet in beeindruckender Lautstärke statt. Keiner kaut Kaugummi, aber alle kauen lautstark und mit offenem Mund ihr Essen, schmatz, schmatz. Knochen und Obstschalen werden einfach mit abgebissen und am Ende irgendwohin ausgepuckt. Gegessen wird überall, jedoch im Restaurant nur mit Begleitung. Mehrfach wurde ich recht lautstark gefragt, ob ich wirklich alleine sei. „Only one!?“ – Yes… Einige Restaurants wollte ich mir nicht entgehen lassen und bin einfach alleine hin gegangen, ohne auf die schrägen Blicke der Kellner etc. zu reagieren. In anderen Restaurants wurde ich wieder weg geschickt. Hot Pot oder eine ganze Pekingente sind jedoch Gemeinschaftsessen, diese hätte ich alleine vermutlich gar nicht bekommen. An Straßenständen oder in kleinen Straßenrestaurants kann man auch gut alleine essen, häufig kommt man sogar mit anderen Gästen ins Gespräch und teilt die Gerichte, die man bestellt hat (z.B. Jiaozi oder Baozi).

Sie kann auch noch andere Sachen sehr gut kochen!

Als Ausländer in China

Ausländer wie ich sind in vielen Teilen des Landes so selten, dass die Bewohner gar nicht anders KÖNNEN, als zu starren. Am deutlichsten wurde dies, als ich kleinen Kindern begegnet bin, denen bei meinem Anblick buchstäblich alles aus dem Gesicht gefallen ist, weil ich so fremd aussehe. Ähnlich ging es auch vielen erwachsenen Chinesen, aber die haben sich meist irgendwann wieder gefangen oder ein Foto mit mir gemacht… Man fühlt sich schon ein bisschen wichtig, ich habe daher eine Galerie für euch zusammen gestellt, die euch ein wenig das Popstar-Feeling vermitteln soll, das ich in den letzten Wochen hatte. Tatsächlich kursieren noch WEIT MEHR Bilder von mir in chinesischen sozialen Netzwerken von all denen, die entweder im Vorbeigehen Bilder von mir gemacht haben, die mich fotografiert haben, während ich mich mit jemand anderem fotografieren habe lassen oder die so schnell wieder weg waren, dass ich keine Gelegenheit hatte, selbst ein Bild mit ihnen zu machen. :-)

Chinesische Kleidung

Eine weitere Besonderheit in China ist es, durch Kleidung einem westlichen Bild gerecht zu werden, das viele Chinesen haben. Es gehört daher zur Mode, englische Sprüche auf T-Shirts zu tragen. Häufig haben diese Sprüche nur noch wenig mit englischer Sprache zu tun, aber da geht es uns vermutlich wie den Chinesen, die sich kaputt lachen, wenn sie die chinesischen Tattoos und mit chinesischen Schriftzeichen bedruckten Kleidungsstücke sehen, mit denen wir stolz herum laufen. :-)

Hier eine kleine Auswahl meiner Favoriten – und nein, das sind keine Tippfehler – das steht tatsächlich so gedruckt auf den Shirts:

  • Casino gambring
  • Lauch hnd the wind will laugh with you.
  • Chocoolale Garfield
  • You can Make Omelett
  • Century has ben already aribed.love
  • Pervert 17
  • Lambrogbinh
  • yourk wlan.Amsterdam Street and Flordnce Tradns sashion merts Short Imes Porular fashion a rad (Glaubt ihr nicht? Schaut mal hier:)

Ich glaube, es steckt ein tieferer Sinn dahinter.

Sonstiges

Und es gibt noch so einiges mehr an Besonderheiten: Da gibt es Bereiche in China, in denen die Bewohner mit dem Erreichen des 36 Lebensjahres ihren eigenen Sarg bauen und diesen in ihrem Zimmer lagern, bis sie sterben. (Ich habe noch wesentlich beeindruckendere Geschichten zum Thema „Sterben“ gehört, die erzähle ich euch mal bei einem Bier, wenn ich wieder da bin. ;-) ) Andernorts wird mit außerordentlich exotischen Zutaten gekocht. Chinesische Medizin ist ein Milliardengeschäft im Land, meistens ist diese recht logisch: Schlangenaugen versprechen besseres Sehvermögen, Blutegel helfen bei Arthrosen, und tja, Tierpenisse in verschiedenen Formen, eingelegt in Reiswein… ihr wisst schon.

In allen Farben.

Warum ausgerechnet China?

Ich habe lange überlegt, wie mein Resümee für China ausfallen soll. Wie ihr in den letzten Wochen mitbekommen habt, war ich nicht immer so „annehmend“, sondern häufig zwiegespalten, hin und her gerissen und entweder absolut begeistert oder unglaublich fassungslos.

Viele haben mich gefragt: „Warum reist Du ausgerechnet nach China? Es gibt doch so viele andere schöne Orte?“. Meine Standard-Antwort lautete: „Warum nicht?“, welches übrigens auch die Standard-Antwort anderer China-Reisender ist, die ich gefragt habe, warum sie „ausgerechnet nach China“ gekommen sind. Meist folgten von den Fragenden auf meine Antwort „Warum nicht?“ zahlreiche Vorbehalte: „China ist dreckig, die Leute machen einfach auf die Straße und spucken überall hin, das Land missachtet Menschenrechte und hat die Ein-Kind-Politik, keiner spricht dort Englisch, das Internet ist gesperrt, das Essen ist viel zu scharf, Du bekommst bestimmt Hund serviert, ohne dass Du es merkst, …“ usw. usw. ff.

Ich war da und ich kann euch sagen: Das sind Gründe, nicht dort hin zu fahren, ernsthaft? Ja, China ist in manchen Teilen dreckig – aber auch nicht sauberer oder dreckiger als anderswo. Die Leute machen einfach auf die Straße? – Die Kinder vielleicht: Andere Kultur, andere Sitten. Genau so ist es mit dem Spucken, das kann schon gehörig nerven, wenn überall gerotzt und hingespuckt wird. Aber mal im Ernst: Ist das ein Grund, dort nicht hin zu fahren? Ehm, nö. Das Land missachtet Menschenrechte und hat die Ein-Kind-Politik. Stimmt. Ändert sich daran etwas, wenn ich das Land bereise oder nicht bereise? – Sicher nicht zum Negativen. Ich kann zumindest behaupten, dass ich aus erster Hand berichten kann, wie es dort vor sich geht und ich habe mit vielen Menschen aus unterschiedlichen Regionen gesprochen, die dort auf- und in das System hineingewachsen sind und die ihren Weg gehen. Richtiges Leid habe ich nicht gesehen, was vielleicht auch daran lag, dass ich nur gut vier Wochen Zeit hatte, das bevölkerungsreichste Land der Erde zu bereisen. Sicherlich gibt es Ecken, in denen nicht alles so zugeht, wie ich es erlebt habe, und man hört gruselige Geschichten darüber, was sich die chinesische Regierung zu Schulden kommen lässt. Trotzdem: Sollte ich deshalb ein ganzes Land boykottieren, weil es dort so oder anders zugeht? – Mal ehrlich, das ist rassistisch und ziemlich kurz gedacht und gerade in unserer heutigen Zeit steht uns ein bisschen interkulturelles Verständnis ganz gut. Und dass ich meine Kultur den viiiielen neugierigen Chinesen vorstellen durfte, die vielleicht niemals nach Deutschland reisen, war allein schon den Trip wert! Das Internet ist gesperrt – stimmt, doch dem kann man mit VPNs Abhilfe schaffen. Die Leute sprechen kein Englisch – richtig, und ich spreche so gut wie kein Chinesisch. Selbst schuld, oder? Falls das für jemanden von euch ein Grund sein sollte, nicht nach China zu fahren: Vergesst dieses „Argument“ gleich wieder. Man glaubt nicht, wie gut man sich mit Händen, Füßen, einem Lächeln und auf-etwas-zeigen verständigen kann, und ich glaube, ein englischsprachiger Chinese, der ebenso frei durch Deutschland reist, wie ich das in China gemacht habe, fühlt sich sprachlich an der einen oder anderen Stelle auch ziemlich allein gelassen. ;-) Das Essen ist nicht zu scharf, sondern gehört definitiv zum besten, was ich in meinem Leben gegessen habe – und ich bin sehr sicher, das ich KEINEN Hund serviert bekommen habe. (Wäre im Übrigen auch viel zu teuer gewesen, Hund gilt nämlich als Delikatesse… hatte trotzdem keinen auf dem Teller.)

Was wären für mich Gründe, nicht mal eben so in ein Land zu fahren? – Wenn mein Leben in ernster Gefahr wäre, weil zum Beispiel Krieg herrscht, gefährliche Krankheiten kursieren, ich Angst um meinen Besitz oder mein Leben haben muss, ich niemandem trauen kann und mir Leute etwas böses wollen, etc.. Sicher kein Grund, ein Land nicht zu bereisen, sind kulturelle und soziale Unterschiede, andere Sitten, anderes Essen – genau darum geht es doch beim Reisen, sonst könnte ich auch in den Schwarzwald fahren.

Alles in allem ist China sicher kein Land, das es einem „einfach“ macht. Aber da ich hier nicht im Urlaub, sondern auf Entdeckungsreise war, war das nicht schlimm, besser noch: Das Erleben aller neuen Eindrücke hat sich mehr als gelohnt und diesen Trip zu einem echten Abenteuer gemacht: In keinem anderen Land habe ich bisher so viel gelernt, gesehen, erlebt! Angefangen bei atemberaubender Natur und Landschaft, die man nicht in Worte oder Bilder fassen kann, hin zu unfassbar großen Megastädten, einem völlig anderen kulturellen (Selbst-)Verständnis, Dingen, auf die man sich nicht vorbereiten kann, geschmacklichen Neuentdeckungen in jedem kleinen Teil des Landes, zwischenmenschlicher Nähe auf eine ganz neue Art und einer Aufgabe für mich, mit all dem Neuen positiv umzugehen. Gleichzeitig habe ich mich immer sicher gefühlt. Selbst, wenn ich mich gerade mal wieder geärgert habe, weil ich mit zehn von insgesamt 1,4 Millionen Chinesen gerade um den ersten Platz in der Schlange oder den besten Platz in der U-Bahn gekämpft habe, zeigt dieses Niveau, auf dem ich mich beklage, dass das ziemliche Luxusprobleme sind, was? Im Ernst: China ist definitiv eine Reise wert, wenn man bereit ist, sich darauf einzulassen! Ich wurde belohnt: Glücksbringer, die mir von chinesischen Frauen geschenkt wurden, Hot Pot, den ich an einem großartigen Tag in Chengdu mit zwei neuen Freundinnen genießen durfte, eine Reise zum größten Buddha der Welt, von dem die meisten noch nie etwas gehört haben, ein Ausflug auf zwei heilige Tempelberge, deren Aufstiege und Ausblicke unvergleichlich sind, eine Begehung des vermutlich gefährlichsten Wanderweges der Welt, die Entdeckung der höchstwahrscheinlich schönsten und leckersten Jiaozi dieser Welt in einer kleinen Straßenküche, Freunde, die ich in der Fremde getroffen habe, ein völlig neues Selbstverständnis, sich in absoluter Fremde zu bewegen, ein neuer Koffer, den ich ohne Chinesisch-Kenntnisse gekauft habe, wunderbare Karstlandschaften, die ich vom Land und vom Wasser aus betrachten konnte, ein Tag auf der chinesischen Mauer an einem völlig untouristischen und wunderschönen Teil, Pekingente in Peking, neue Freunde in Shanghai…

Well done & 太棒了, China!

Xièxie!

Eure Ena.

2 Kommentare

  1. Danke für deine tollen Berichte. Meine Mutter war mittlerweile zweimal in China und hat auch immer begeistert berichtet. Man muss halt offen sein, denn es ist halt eine ganz andere Kultur. Und klar gibt es immer Gründe, die gegen China sprechen. Aber bei welchem Land ist das nicht der Fall?
    Ich bin schon gespannt, wie es weiter geht :)

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